Neue Abferkelsysteme und die Rolle der Zuchtunternehmen

Nicht erst seit dem finalen Beschluss zur Änderung der Tierschutznutztierhaltungsverordnung im Hinblick auf die Sauenhaltung, ist das Thema “Freie Abferkelung” im gesellschaftlichen und politischen Dialog allgegenwärtig.

Erfolgreiche Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis

Die gute Nachricht ist: Im Gegensatz zu so manch anderer politischer Entscheidung gibt es eine gute Zusammenarbeit und Förderung wissenschaftlicher Projekte im Bereich der Tierhaltung. Zudem werden Modellbetriebe unterstützt, die bereits jetzt umgebaut haben. Auf die Erfahrungen dieser Landwirte kann dann beim eigenen eventuell noch anstehenden Umbauprojekt angeknüpft werden. Denn es gilt jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen.

Vielfältige Möglichkeiten bereits verfügbar

Konzentrieren wir uns auf die bereits erwähnten guten Nachrichten sowie den Fakt, dass eine freie Abferkelung möglich ist und nachgewiesenermaßen nicht nur wirtschaftlich gut funktionieren kann, sondern tatsächlich auch zu mehr Tierwohl bei den Sauen und Arbeitszufriedenheit beim Landwirt führen kann.
Privatdozentin Dr. Irena Czycholl, Fachtierärztin für Verhalten, ist Expertin für Tierwohl und Verhalten und in diverse Forschungsprojekte zum Thema “Freie Abferkelung” involviert. Sie ist in Praxistests neuer Abferkelsysteme und deren korrektem Management eingebunden, beurteilt dabei Tierwohlfaktoren insbesondere unter dem Aspekt des mütterlichen Verhaltens, um dieses weiter und besser zu verstehen. So vielfältig wie die Forschungsprojekte sind auch die Möglichkeiten, die inzwischen auf dem Markt verfügbar sind.

Vorerst durchgesetzt haben sich im Detail unterschiedlich gestaltete sogenannte Bewegungsbuchten. Das heißt, die Sau bleibt um den Zeitraum der Geburt im Kastenstand fixiert, dieser kann jedoch aufgeklappt werden, sodass die Sau nach der Geburt vermehrte Bewegungsmöglichkeiten bekommt. „Wir müssen das System bestmöglich an die Bedürfnisse der Tiere anpassen, damit es gut funktioniert“, so die Expertin.

So muss der Beginn und das Ende der Kurzzeitfixierung in den Bewegungsbuchten richtig gestaltet werden. Zu Beginn muss die Sau ihr Nestbauverhalten ausleben können. Dies wirkt sich nachweislich positiv auf den Geburtsverlauf, die Vitalität der Ferkel und auch die Anzahl der abgesetzten Ferkel aus. Und das Ende der Kurzzeitfixierung sollte nicht an einem starren Plan, sondern am Verhalten der Sau orientiert sein. So zeigen Studien, dass eine Öffnung aller Stände am Morgen zu vermehrter Unruhe führen kann, einerseits durch die Vorgänge in den Nachbarbuchten und andererseits durch Unruhe durch die normalen Betriebsabläufe. Am besten ist es, die Buchten wirklich individuell zu öffnen, wenn die Sau sich ruhig verhält, nicht vermehrt aggressiv ist, alle Ferkel vital sind, sich eine Saugordnung gebildet hat und die Ferkel das angedachte Ferkelnest als bevorzugten Ruhebereich nutzen.

Derzeit werden automatische Systeme zum Öffnungsmanagement erforscht. Auch bei der Annahme des Ferkelnestes gibt es aus Sicht der Verhaltensexpertin noch reichlich Forschungsbedarf. „Das Schwein orientiert sich stark mit dem Geruchssinn und ist hier auch wesentlich besser ausgestattet als wir. Ein mütterliches Pheromon führt zu einer starken Mutter-Kind-Bindung und ist unter anderem daran beteiligt, dass sich die Ferkel zum Gesäuge orientieren. Nun erwarten wir, dass sich die Ferkel eigenständig weg von diesen Geruchsstoffen zu einem warmen, aber geruchsneutralen Bereich begeben.“ Verschiedene aktuelle wissenschaftliche Projekte beschäftigen sich mit dem besseren Verständnis der geruchlichen Kommunikation beim Schwein. Zukünftig könnten also Geruchsstoffe den Ferkeln den Weg zum Nest weisen und zur schnelleren Nestakzeptanz verhelfen.

Was kann die Zucht beitragen?

Und was tut das Zuchtunternehmen PIC nun, um seine Kunden zu unterstützen?

Neben der Berücksichtigung des Verhaltens beim Management geht es natürlich auch darum, dass die Landwirte eine Sau einstallen, mit der dieses System funktionieren kann. Stichworte sind hier gutes Fundament, Mütterlichkeit, gesunde, vitale Ferkel. All diese Punkte werden bei der Zuchtwertschätzung bei PIC berücksichtigt und die Erfolge sind messbar. Auch in den verschiedenen Systemen mit freier Abferkelung.

DR. CRAIG LEWIS, VERANTWORTLICH FÜR DEN BEREICH “ZUCHT” DER PIC IN EUROPA

Aber wie ist das denn nun mit der allseits geforderten Mütterlichkeit und ausgeglichenem Charakter seitens der Sauen?

“Hier sehen wir uns auch Zielkonflikten gegenüber, die wir berücksichtigen müssen”, erläutern Czycholl und Lewis.

“Gute Mütterlichkeit bedeutet ja auch, dass eine Sau ihre Ferkel verteidigt, also ein gewisses Aggressionspotential hat. Das wollen wir aber natürlich auch im Hinblick auf Arbeitssicherheit nicht. Allerdings haben wir in der Vergangenheit sehr erfolgreich demonstriert, wie scheinbare Zielkonflikte eben doch gemeinsam in der Zuchtwertschätzung berücksichtigt werden können. Korrekt implementiert ist dies letztendlich der nachhaltige Weg. Als Beispiel seien hier die Zuchtziele Wurfgröße und Ferkelgeburtsgewicht genannt. Lange war dies ein Widerspruch. Wurden mehr Ferkel geboren, waren sie leichter. Durch die korrekte und zielgerichtete Anwendung des Selektionskriterien ist es PIC gelungen, die Anzahl lebend geborener Ferkel zu erhöhen und dennoch das durchschnittliche Geburtsgewicht zu erhöhen, was natürlich mit einer gesteigerten Vitalität der Ferkel einhergeht. Entscheidender Vorteil dabei ist die Nutzung genomischer Daten, die auf einer riesigen Datenfülle aus Praxisbetrieben basieren.“, führt Craig Lewis aus.

Das Hauptproblem ist die korrekte Phänotypisierung, also die wissenschaftlich objektive Messung dessen, was wir eigentlich haben und züchterisch gestalten wollen. Gerade bei Verhalten ist dies immer eine enorme Herausforderung, da Verhalten von so ziemlich allem beeinflusst wird: Vom genetischen Potential, der Haltungsumwelt, den Vorerfahrungen, die das Tier zeitlebens gemacht hat und macht, der Gruppe, in der das Tier lebt und so weiter, und so weiter.

Privatdozentin Dr. Irena Czycholl, Fachtierärztin für Verhalten, Expertin für Tierwohl und Verhalten und in diverse Forschungsprojekte zum Thema “Freie Abferkelung” involviert

Beispielsweise gibt es eine ganze Reihe an Verhaltenstests, die die Mütterlichkeit beschreiben sollen. Wir konnten allerdings nachweisen, dass verschiedene Verhaltenstests in verschiedenen Umgebungen durchgeführt, komplett unterschiedliche Aspekte messen und es zudem auch nicht „DIE“ Mütterlichkeit gibt, sondern, im Gegenteil, unterschiedliche Teilbereiche mütterlichen Verhaltens unterschieden werden müssen. So gibt es z.B. die Sau, die sich eher um das eine Ferkel in Not kümmert und eine andere, die sich lieber um den Rest des Wurfs kümmert. Und dann gibt es eine, die besonders viele Saugakte initiiert und eine andere, die ein besonders gutes Ferkelnest baut. Dabei ist nicht die eine oder die andere Sau ‘die bessere Mutter’. Dies gilt es bei der wissenschaftlich objektiven Messung zu berücksichtigen.

PD Dr. Irena Czycholl

In einer Studie wurde mittels einer sogenannten Faktorenanalyse untersucht, was genau verschiedene Verhaltenstests zur Mütterlichkeit eigentlich messen. Mit Hilfe einer “Faktorenanalyse” können viele Ausgangsvariablen zu wenigen Faktoren zusammengefasst werden, indem davon ausgegangen wird, dass die Ausgangsvariablen teilweise ähnliche Dinge messen. Diese Ähnlichkeiten werden herausgefiltert und jeweils als separater Faktor dargestellt. So können Variablen, die nicht direkt gemessen werden können, dennoch genutzt werden.
Mit Hilfe der ermittelten Faktoren konnten die Wissenschaftler mindestens vier Komponenten von Mütterlichkeit identifizieren: Kommunikation, Kontakt, Pflege und Verbundenheit.

Unterschiedliche Verhaltenstest messen unterschiedliche Verhaltenskomponenten

Außerdem zeigt sich, dass die unterschiedlichen Verhaltenstests unter verschiedenen Bedingungen unterschiedliche Komponenten der Mütterlichkeit messen.

Die Nutzung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Zucht ist ein laufender Prozess. Dabei unterstützt auch das Precision Livestock Farming Team innerhalb PICs. Dr. Eric Psota hat sich auf diesen Bereich in der Schweinehaltung spezialisiert, PIC konnte ihn von der Universität Nebraska zur Verstärkung des Teams gewinnen. Neben den Themen “Automatisches Öffnungsmanagement (für Abferkelbuchten)” und “Automatisierte Erfassung der unterschiedlichen Komponenten mütterlichen Verhaltens” (in Praxisumgebung) gehört beispielsweise auch das Abliegeverhalten und das sogenannte “Rollverhalten”, welches eine besondere Gefährdung der Ferkel darstellt und offenbar eine genetische Komponente hat, zu aktuellen Fragestellungen, die mit seiner Hilfe bei PIC bearbeitet werden. “Eine weitere Verhaltensweise, die sich zukünftig zur Phänotypisierung eignen könnte, ist der Nase-zu-Nase-Kontakt zwischen der Sau und ihren Ferkeln. Wird dieses Verhalten häufiger gezeigt, kommt es zu weniger Erdrückungsverlusten.

Wir hoffen, mit Hilfe von Kameras, Künstlicher Intelligenz und den entsprechenden Computertechniken dieses Verhalten zukünftig automatisiert erkennen zu können.“, gibt Czycholl Auskunft zu weiteren geplanten Forschungsprojekten bei PIC. Auf eben dieses Gebiet der automatisierten Erkennung und Erfassung hat sich Dr. Psota spezialisiert.

Fazit

Kurzgefasst: Die neuen Anforderungen an Abferkelungssysteme lassen sich umsetzen, wobei das Management eine entscheidende Rolle spielt. Natürlich steht PIC seinen Kunden mit den entsprechenden Serviceteams hierbei jederzeit beratend zur Seite. Die Sauen haben heute schon die erforderlichen Eigenschaften, aber, im Sinne des Unternehmensziels von „Never Stop Improving“ tut sich auch viel. Hierbei setzt PIC auf Nachhaltigkeit im Sinne von wissenschaftlicher Korrektheit und Ausrichtung auf den langfristigen Erfolg. So trägt PIC ihren Teil dazu bei, dass Landwirte diese Herausforderung erfolgreich meistern und für sich nutzen können.