“Kamera bewertet Schweine genauer als der Mensch es kann”

PIC wendet die digitale Selektion an, um Zuchtwerte zu ermitteln. Mit der richtigen Software sind die Möglichkeiten endlos, sagt Dr. Saskia Bloemhof, Genetic Services Manager bei PIC.

Daten spielen in der Zucht eine wichtige Rolle, um den Zuchtfortschritt auf die nächste Stufe zu bringen. Neben dem Austausch und der Interpretation von Entwicklungsdaten zur Schätzung von Zuchtwerten bieten technische Hilfsmittel wie Kameras mehr Möglichkeiten für objektive Beobachtungen und die Entwicklung neuer Merkmale. In China wird zum Beispiel seit einigen Jahren an der Gesichtserkennungstechnologie zur Identifizierung von Schweinen gearbeitet. Daraus sind bisher noch keine praxistauglichen Systeme entstanden, unter anderem weil sich die Schweine im Aussehen kaum voneinander unterscheiden.

Automatische Auswertung von Bildern

Der Einsatz von Kameras und digitalen Bildern bietet jedoch enormes Potenzial bei der Erfassung von Tieren in einer Bucht bzw. des einzelnen Schweines. Die größte Herausforderung liegt in der automatischen Interpretation der Bilder und dem Ziehen von Schlussfolgerungen auf der Grundlage dieser Bilder. Dr. Saskia Bloemhof ist Genetic Services Manager bei PIC. Sie sagt: “Die digitale Selektion steckt noch in den Kinderschuhen, aber es gibt viele Möglichkeiten. Um dies besser in den Griff zu bekommen, arbeiten wir seit 2020 mit Professor Dr. Tomas Norton von der Katholischen Universität (KU) Leuven in Belgien zusammen. PIC beschäftigt derzeit zwei Ingenieure, die sich ausschließlich mit der Umwandlung von Videobildern in verwertbare Daten beschäftigen.” Inzwischen nutzt PIC nun die digitale Selektion, um die Fundamente von Jungsauen und Ebern zu bewerten.

Sie erklärt: “Wir arbeiten seit Jahrzehnten mit einer linearen Fundamentbewertung, also wie ein Schwein auf seinen Vorder- und Hinterbeinen steht. Die Mitarbeiter sind geschult, Jungsauen auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten. Die ideale Bewertung für die Vorderhand liegt bei 5-6, für die Hinterhand zwischen 5 und 10. Gute oder schlechte Klauen und Beinstellungen sind leicht zu erkennen, aber der Unterschied zwischen einer 4 und einer 5 kann subjektiv sein. Bis jetzt sind wir noch auf das menschliche Auge angewiesen”.

Dennoch, die Fundamentbewertung ist wichtig.

“Die Fundamentbewertung hat sich in der Zucht bewährt, und Tiere mit einer besseren Bewertung haben eine höhere Lebenserwartung, aber sie bleibt subjektiv. Eine Jungsau kann immer noch von verschiedenen Mitarbeitern unterschiedlich bewertet werden. Auch die Arbeitseffizienz spielt eine Rolle. Es ist schwierig, gute und ausgebildete Mitarbeiter zu bekommen und zu halten. Natürlich kann man eine Zuchtwertschätzung immer korrigieren, aber das will man eigentlich nicht. Indem man die Jungsauen an einer Kamera vorbeilaufen lässt, die die Bewegungswinkel aufzeichnet, kann man eine objektivere Bewertung vornehmen.”

Können Sie das erklären?

“Wir haben eine Software entwickelt, die die Kamerabilder auswertet. Die Software basiert auf den Bewertungen unserer besten Selekteure. Wir lassen die Jungsauen am Ende des Eigenleistungsprüfung an dieser Kamera vorbeilaufen, und das Programm bewertet automatisch ihre Bewegungen. Außerdem aktualisieren die Ingenieure das Programm ständig, um die Bewertung zu optimieren. Es mag vielleicht etwas naiv klingen, aber anfangs gingen wir davon aus, dass wir ein Vollbild benötigen, also stellten wir ein Stück Zaun in der Nähe der Kamera so ein, dass nur das Tier im Video zu sehen ist. Dann sagten uns die Techniker, dass dies nicht nötig sei; da es ständig im Video zu sehen ist, kann der Zaun herausgefiltert werden.”

Was ist der nächste Schritt, nachdem Sie nun automatisch die Beine bewerten können?

“Die Fundamentbewertung steht im Zusammenhang mit der Langlebigkeit der Sau. Wir wollen Stand und Gang einer Jungsau mit der Langlebigkeit bzw. ihrem Verbleib in der Herde über mehrere Würfe in Verbindung bringen. Wie gehen sie und wie lang sind ihre Schritte? Man möchte, dass sie lange Schritte machen. Bei Kühen kann man die Schulter- und Hüftknochen gut sehen, so dass man die Schrittlänge leicht bestimmen kann. Bei Schweinen ist es schwieriger, diese Beweglichkeit zu erkennen. Wir messen derzeit die Schrittlänge und die Fortbewegung anhand vieler aufgezeichneter Punkte am Körper und hoffen, dass wir die Lebensspanne eines Schweins vorhersagen können. Die Jungsauen, deren Fundamentbewertungen und Bewegungen digital erfasst wurden, werden während ihres gesamten produktiven Lebens verfolgt.”

“Der nächste Schritt besteht darin, die Bewegungsabläufe in die Langlebigkeitsprognose einzubeziehen.”

Werden Sie auf dieser Grundlage Linien für die Zucht oder Vermehrung auswählen?

“Dies bietet Optionen für die Selektion auf der Grundlage dieser Merkmale. Vor allem, da Robustheit und Langlebigkeit so wichtig sind. Mit diesen Daten können wir die Langlebigkeit von Sauen und KB-Ebern genauer vorhersagen. Der nächste Schritt besteht darin, die Art und Qualität der Fortbewegung in die Langlebigkeitsprognose einzubeziehen. Jetzt haben wir eine direkte Schätzung für eine Jungsau, die viel früher vorliegt als eine Schätzung auf der Grundlage einer F1-Sau und ihrer Nachkommen oder eines bestimmten Ebers, bei der man 2,5 bis drei Jahre auf Ergebnisse warten muss. Das Generationsintervall wird immer kürzer.”

Wie bald werden Sie den Mobilitätsscore einführen?

“Ende 2022 werden wir den subjektiven Score in den USA und Kanada durch einen objektiven Score ersetzt haben, der auf diesem Programm basiert. Nächstes Jahr werden wir dies auch im Rest der Welt umsetzen. Letztendlich wird jeder Nukleuszuchtbetrieb ein Kamerasystem in seinem Stall haben.”

Auf welche anderen Bereiche kann die digitale Selektion angewendet werden?

“Ein zweiter Schritt kann das Verhalten sein. Die Beurteilung des Verhaltens ist nach wie vor extrem schwierig. Man kann jemanden in ein Abteil setzen, um zu gucken und zu dokumentieren, was die Schweine tun, aber das kostet viel Zeit und ist in der Praxis unmöglich. Dies ist nur mit Kameratechnik und Videos möglich. Aber das bringt Herausforderungen mit sich. Man muss wissen, wer wer in einer Gruppe von Schweinen ist. Das könnte man mit Radiofrequenz-Identifikation (RFID) machen, aber die große Frage ist dann, wie man die RFID mit dem Video und der Dauer der Aufnahmen verknüpft. Derzeit lesen wir die Ohrmarken über die Kamera. Die Software ist so genau, dass sie sogar Zahlen lesen kann, die wir aufgrund von Schmutz oder einem hängenden Ohr nicht richtig sehen können.

Wie funktioniert die Verhaltensforschung?

“Wir haben Verhaltensausdrücke farblich kodiert und nach Mustern gesucht, indem wir eine Verbindung zu den Tiernummern hergestellt haben. Aus den Videos ging zum Beispiel hervor, dass Schweine vor 10 Uhr morgens fressen und nach 22 Uhr ruhen. Das heißt, man kann die Futterstelle abends auffüllen, aber nach 22 Uhr werden sie nicht mehr fressen.”

Ich denke, dass wir mit der digitalen Selektion nach mehr Details suchen können.

Wie geht es weiter?

“Wir können das Liegeverhalten ablesen, zum Beispiel ob ein Schwein auf dem Bauch oder auf der Seite liegt. Wir schauen uns auch das gegenseitige Verhalten an und was erwünschtes und unerwünschtes Verhalten ist. Wann gilt eine bestimmte Handlung als Spiel und wann ist sie eigentlich Stress? Beim Schwanzbeißen findet man das Opfer schnell, aber der Beißer ist schwieriger zu erkennen. Ich denke, dass wir mit der digitalen Selektion nach mehr Details suchen können”.

Mehrere Unternehmen versuchen, Kameras zur Gewichtsbestimmung einzusetzen. Sehen Sie dafür Möglichkeiten?

“Man kann die Tiere über eine Waage laufen lassen, aber das stört ihren Rhythmus. Wenn man Kameras einsetzt, kann man den gesamten Stall beurteilen, ohne die Tiere zu stören. Wir betrachten diese Art von Entwicklungen aus genetischer Sicht. Aber auch aus der Sicht des Managements gibt es für die Schweinehalter viel zu gewinnen. Eine Kamera kann alles übernehmen, was man mit dem bloßen Auge beurteilen kann, vorausgesetzt, man hat die entsprechende Software. Dann sind die Möglichkeiten endlos.”

Was steht dem im Wege?

“Die Kosten. Für uns als Zuchtunternehmen ist eine so große Investition möglich, weil sie eine Reihe von Menschen ersetzen kann. Aber das gilt nicht für einen einzelnen Betrieb.”

Dr. Saskia Bloemhof ist seit 2013 bei PIC beschäftigt. Als Genetic Service Managerin ist sie für die Weitergabe des Zuchtfortschritts an die Kundenbetriebe der PIC zuständig und arbeitet eng mit Vermehrungs- und Eberzuchtbetrieben zusammen.

Kamera bestimmt, ob die Jungsau gut zu Fuß ist

PIC nutzt die digitale Selektion, um die Stellung der Beine zu bewerten. Das Programm wurde um die Bewertung des Ganges erweitert. Ausgehend von einer Reihe wichtiger Gelenke wie Schulter, Hüfte und Beine wurden mehrere Messpunkte am Schweinekörper festgelegt. Durch die Verknüpfung dieser Punkte mit Hilfe einer Software ist es möglich zu bestimmen, wie sich das Schwein bewegt. Die Punktzahl wird anhand von Algorithmen ermittelt, die auf den Punktzahlen der besten Selekteure basieren. Je mehr Schweine bewertet werden, desto weiter wird das System optimiert. Der nächste Schritt besteht darin, dass die Algorithmen die Videos der Jungsauen mit ihren Daten in der Sauenherde in Beziehung setzen, wozu auch das Alter bei Abgang und die Abgangsgründe gehören, um eine sichere Vorhersage der Langlebigkeit von Sauen zu entwickeln.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in der Boerderij (niederländische Fachzeitschrift) und auf pigprogress.net veröffentlicht.